Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften

Dynamik reaktiver Ionen und Ionenmobilität

Molekulare Massenspektrometrie erfordert zwingend, dass eine Stoffprobe verdampft und in Ionen überführt (Ionisiert) wird, da die individuellen molekularen Teilchen der Probe für die Analyse mit elektrischen oder magnetischen Feldern wechselwirken müssen. Bei der Ionisation verändern Moleküle zwar ihre molekularen Eigenschaften, aber sie verlieren sie nicht: Insbesondere sind auch ionische Moleküle chemisch reaktiv, und zeigen eine Bandbreite chemischer Veränderungsprozesse, die äquivalent zu der neutraler Moleküle ist. Die chemische Reaktivität findet allerdings unter Bedingungen statt, die sich von den Reaktionsbedingungen neutraler Moleküle unterscheiden: Ionen erfahren eine große Krafteinwirkung bzw. eine Wechselwirkung durch elektrische Felder über die Coulombkraft. 

Ionen in elektrischen Feldern

Dies führt dazu, dass Ionen insbesondere auf äußere elektrische Felder reagieren. Sie werden durch die Krafteinwirkung in einem elektrischen Feld beschleunigt, was ihre Bewegungsgeschwindigkeit und damit ihre kinetische Energie erhöht. Ist das elektrische Feld und damit die Beschleunigungswirkung groß genug, kann diese zusätzliche Bewegungsenergie Werte erreichen, die weit über der thermischen Gleichgewichtsenergie liegen. 

Effektive Ionentemperatur und Reaktionstemperatur

Ist der Hintergrund-Gasdruck bei dem die elektrische Beschleunigung der Ionen stattfindet noch so groß, dass Kollisionen mit neutralen Partikeln eines Hintergrundgases auftreten, erhöht sich durch die elektrische Beschleunigung der Ionen auch die Kollisionsenergie zwischen Ionen und Hintergrundgaspartikeln. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die chemische Reaktivität der Ionen aber auch die Ionen selbst: Für chemische Reaktionen steht durch die energiereichen Kollisionen eine hohe effektive Reaktionstemperatur zur Verfügung. Dies verändert im Allgemeinen, welche Reaktionen mit welcher Wahrscheinlichkeit stattfinden können. Weiterhin werden durch energiereiche inelastische Kollisionen mit Hintergrundgaspartikeln interne Energiezustände (beispielsweise Schwingungszustände) in Molekülen besetzt. Dies führt oft zu Fragmentierungsreaktionen: Molekulare Ionen zerbrechen in mehrere Fragmente, die selbst wiederum durchaus reaktiv sein können. Große Moleküle können durch die intern gespeicherte Energie signifikante Änderungen ihrer geometrischen Gestalt durchlaufen. Da die Wahrscheinlichkeit eines Ions mit neutralen Gaspartikeln zu kollidieren natürlich auch von der geometrischen Struktur des Ions abhängt, entsteht eine komplexe Kopplung zwischen der externen elektrischen Feldstärke, den internen Freiheitsgeraden eines molekularen Ions, den Wechselwirkungsquerschnitt des Ions mit dem Hintergrundgas und der effektiven Reaktionstemperatur eines Ions. 

Die PTC versucht diese Kopplungen und die daraus resultierenden Phänomene ausgehend von den molekularen Prozessen zu verstehen und durch Modelle bzw. numerische Modellierungen zu beschreiben. Experimentell ist, neben der Analyse von Umwandlungsprodukten chemisch reaktiver Ionen, die Bestimmung der Mobilität molekularer Ionen in einem elektrischen Feld (Ionenmobilität) eine wichtige Methoden um Einblicke in ihre molekulare Dynamik zu erlangen.

Ionenmobilität

Bewegen sich Ionen in einem elektrischen Feld in einem neutralen Hintergrundgas, erreichen die Ionen durch die Kollisionen mit den Hintergrundgaspartikeln schnell eine  gleichbleibende Driftgeschwindigkeit. Das Verhältnis zwischen Driftgeschwindigkeit $v_d$ und Feldstärke $E$ ist die Ionenmobilität $K$: 
$$ v_d = K E $$

Unter anderem durch die oben erwähnte Kopplung zwischen internen Freiheitsgraden bzw. der Reaktionstemperatur und der Feldstärke ist die Ionenmobilität allerdings im Allgemeinen keine Konstante, sondern selbst eine komplexe Funktion der Feldstärke: 
$$ v_d = K\left(E\right) E $$

Es gibt mehrere bedeutsame analytische Verfahren, die auf der Messung der Ionenmobilität bei einer Feldstärke oder auf dem Verlauf der Mobilitätsfunktion in Abhängigkeit von der Feldstärke basieren. Die Wichtigsten sind Ionen Mobilitätsspektrometrie (IMS) und Differentielle Ionenmobilitätsspektrometrie (DMS). 

Die Beschreibung der unter verschiedenen Bedingungen experimentell zu beobachtenden Ionenmobilität durch theoretische Modelle und numerische Modellierungen ist ein bedeutsames aktuelles Themengebiet der PTC. Neben dem Verständnis der grundlegenden dynamischen Prozesse, eröffnen diese Arbeiten auch Wege die Leistungsfähigkeit der auf Ionenmobilität basierenden Analyseverfahren zu verbessern. 

Elektrische Partikel-Partikel Wechselwirkungen: Raumladung 

Als elektrisch geladene Teilchen beeinflussen sich Ionen über die Coulomb-Wechselwirkung gegenseitig. In Gruppen von Ionen ist die Bewegung der einzelnen Partikel daher immer auch abhängig von der Bewegung der anderen Partikel in der Gruppe. Dies führt dazu, dass größere Ionengruppen in Analyse-Instrumenten wie Massenspektrometern oft nicht ideales, kollektives Verhalten zeigen. Dieses Phänomen wird Raumladung (Space Charge) genannt. Insbesondere in Ionenfallen-Masseanalysatoren und ähnlichen Komponenten von Massenspektrometern können sich solche Raumladungseffekte sehr stark auf die Leistungsfähigkeit der Instrumente auswirken. 

Die Modellierung dieser Raumladungseffekte ist aufwändig: Da die Bewegung eines Ions unter anderem von jedem anderen Ion abhängt, muss ein naives numerisches Modell den Abstand von jedem Ion zu jedem anderen Ion bestimmen. Die führt in einen numerischen Aufwand, der quadratisch (mit $\mathcal{O}\left(n^2\right)$) ansteigt. Dies ist im Allgemeinen viel zu aufwändig für die Modellierung tatsächlicher Fragestellungen. Daher müssen für die meisten Problemstellungen numerische Näherungsverfahren verwendet werden, um die Raumladungskopplung der Ionen untereinander zu beschreiben.  

Die PTC verwendet verschiedene Simulationsprogramme um die Bewegung von Ionen in Massenspektrometern und ähnlichen Instrumenten unter Berücksichtigung von Raumladungseffekten, chemischer Reaktivität und Hintergrundgaswechselwirkungen zu modellieren. Teilweise entwickeln wir dafür eigene, an die besonderen Fragestellungen angepasste, Simulationswerkzeuge. 

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